Rolleborn
Auf dem Foto sieht man den „Rolleborn“ im August 2023.
Die engagierten Nachbarn (v.l.n.r.) Udo, Werner, Maik und Berthold haben den Brunnen in Eigeninitiative renoviert.
Der Brunnen erhielt eine neue Tür.
Der tragende Querbalken unter der Tür wurde ersetzt.
Die kaputten Abdeckplatten aus Naturstein wurden erneuert.
Zu guter Letzt erhielten alle Holzteile einen neuen Anstrich.
Erzählung von Manfred Zimmermann
„Jetzt ist die Kette von der Rolle gefallen! Und was machen wir jetzt“? Meine Mutter guckte mich ganz entgeistert und ratlos an.
„Dann stelle ich mich hier auf den Brüstungsbalken und versuche die Kette wieder da drauf zu kriegen. Und du hältst mich am Hosenbund fest, damit ich nicht da reinfalle“ war meine Antwort. Sie kam zwar etwas zögerlich, mit einem scheuen Blick auf das Übel an dem Querbalken der Dachabdeckung des Rolleborns, war aber doch ernst gemeint.
„Das kommt überhaupt nicht infrage“ antwortete meine Mutter entschlossen. „Lieber warten wir bis der Opa heimkommt, der hat das schon öfters gemacht“!
Doch der Reihe nach.
Es war im Sommer 1955, ich war also noch keine 14 Jahre alt. Ich stand mit meiner Mutter (Dreherlabachs Else) vor dem „Rolleborn“, um Wasser für unser Vieh zu holen. Das war für uns sehr praktisch, da wir als Nachbarn einen kurzen Weg zu dem Brunnen hatten und uns so das Leitungswasser sparen konnten. Eine zu dieser Zeit von fast allen Bauern im Dorf geübte Praxis dank der Vielzahl der öffentlichen und auch privaten Brunnen in Bornich.
Und einer dieser öffentlichen Brunnen war (und ist) der „Rolleborn“ in der Kauber Straße vor dem Anwesen Fensterseifer, direkt gegenüber von meinem Elternhaus. Da er sehr tief ist, konnte das Wasser nicht mit einer Pumpe gefördert werden und er wurde deshalb als sogenannter Ziehbrunnen angelegt. In unserer Chronik der Gemeinde Bornich ist auf Seite 247 diesbezüglich u.a. folgendes vermerkt, ich zitiere:
„Ein Gemeindeziehbrunnen besonderer Art ist der „Rollenborn“. In dem Aufbau über dem Brunnenschacht hängt eine Rolle. Früher war sie aus Holz, wie auch die Eimer aus Holz mit schweren Eisenbeschlägen waren. Über die Rolle führte eine Kette, an deren beiden Enden je ein Eimer hing. Das Gewicht des gefüllten Eimers, der an der Kette Hand über Hand hochgezogen wurde, minderte sich durch den hinabgleitenden Eimer und die länger werdende Kette. Und noch einen Vorteil hatte diese Methode, weil beim Hochziehen des vollen Eimers der leere Eimer hinabgelassen wurde und dadurch bei gleichem Zeitaufwand die doppelte Wassermenge gefördert wurde.“ Soweit das Zitat.
Es war also eine praktische Einrichtung, die gerne von allen Anwohnern der Kauber Straße, dem Drilles (Oberdorf) und einem Teil der Gillegass (Langgasse) genutzt wurde. Auch deshalb, da man ja die unmittelbaren und auch die etwas entfernteren Nachbarn dort traf. Da wurden so manche Neuigkeiten ausgetauscht, bei denen dann oftmals aus einer Vermutung bei der dritten Weitergabe eine Tatsache wurde, da wurden bei den Frauen Rezepte ausgetauscht, bei den Männern Probleme im Stall und auf dem Feld besprochen und bei Krankheiten alte Hausmittelrezepte mit hundertprozentiger Wirkung aus eigener Erfahrung weitergegeben.
Es war also ein willkommener Treffpunkt zum Erzählen, zum Tratschen, zum Zuhören, und manchmal, wenn es besonders interessant war, wurde die eine oder andere Flasche Wein aus einem der umliegenden Keller geholt, entkorkt und geleert, bis die Kühe aus den Ställen durch ihr energisches Muhen darauf aufmerksam machten, dass man das Füttern ganz vergessen hatte.
Es war eben die Zeit der Kuh- und Pferdegespanne, mit deren Hilfe die Felder bestellt wurden. Und alles war für die ganze Familie mit großer körperlicher Arbeit verbunden und ist mit der heutigen Hightech in der Landwirtschaft überhaupt nicht mehr zu vergleichen. Aber, abgesehen davon, dass es heute im Dorf so gut wie keine Bauern mehr gibt: Die Leute hatten damals trotz allem immer noch die Zeit für ein Schwätzchen, für ein geselliges Beisammenstehen ohne den hektischen Hinweis: Ich habe keine Zeit!! Oder??
Und jetzt lag die Kette sprichwörtlich „von der Rolle“!
Passiert war es, als wir den vollen Holzeimer, der ja auf der uns abgewandten Seite war, zu uns zum Entleeren drehen wollten. Wir waren zu ungestüm vorgegangen. Das passierte schon mal öfters, und meistens war dann auch ein Mann aus der Nachbarschaft da oder in der Nähe, und der Schaden war schnell behoben. Einer stellte sich auf die Brüstung und einer sicherte mit zwei Händen am Hosenbund. So ganz ungefährlich war das nicht, denn man musste sich mit dem Oberkörper schon recht weit über den Brunnen strecken, um Kette und Rolle zu erreichen.
Aber diesmal war außer uns beiden niemand da. Nachdem meine Mutter meinen Vorschlag energisch abgelehnt hatte, wollten wir gerade die Brunnentür schließen und nach Hause gehen, als unser Pfarrer die Gillegass hochkam. Er hatte unsere hilflosen Gesten gesehen und fragte was passiert sei und ob er uns helfen könne. Pfarrer Heß, von 1934 bis 1960 unser Gemeindepfarrer, war ein unerschrockener und kampferprobter Mann. Er hatte als Soldat den 1. Weltkrieg überlebt, in der Nazizeit manche persönliche Anfeindung abgewehrt und den 2. Weltkrieg im Rang eines Majors überstanden.
Er betrachtete sich das Ganze und meinte: „Das kriegen wir hin“. Und zu mir schmunzelnd: „Ich geh da hoch und du hältst mich hier am Hosenbund fest. Du kannst das, ich habe dich ja schließlich vor kurzem schon konfirmiert“.
Gesagt, getan! Und meine Hochachtung vor dem Pfarrer stieg gewaltig. Das hätte ich ihm nicht zugetraut. Unseren Dank quittierte er mit einem Lächeln, einem Blick gen Himmel und einem bescheidenen „Gott vergelt's“!
Als wir im Winter geschlachtet haben fiel die Portion für das Pfarrhaus etwas größer aus!!
Manfred Zimmermann
Eigentümer: Gemeinde Bornich
Koordinaten: 50.125431 7.766196
Quellen: Manfred Zimmermann, Chronik von Bornich
Fotos: Martin Kubat, Monika Sopp